Der Nationalsozialistische Untergrund

Die rechtsextreme Mordserie des NSU hat weltweit für Entsetzen gesorgt. Wie konnten die Täter sich derart radikalisieren? Warum haben die Sicherheitsbehörden versagt? Und wie groß ist das Netzwerk der Rechtsterroristen tatsächlich? Mehrere Untersuchungsausschüsse und ein Gerichtsprozess sollen Antworten liefern.

Eisenach am 4. November 2011. Als sich Polizisten einem Wohnwagen nähern, in dem sie zwei flüchtige Bankräuber vermuten, fallen zwei Schüsse. In dem brennenden Caravan entdeckt die Polizei schließlich die Leichen der mutmaßlichen Täter, die anscheinend ihr Wohnmobil angezündet und anschließend Selbstmord begangen haben. Bald aber stellt sich heraus, dass man nicht nur zwei Bankräubern, sondern der größten rechtsextremen Mordserie in der Geschichte der Bundesrepublik auf die Spur gekommen ist. Die Ereignisse werden zum Wendepunkt im Umgang mit rechter Gewalt und der militanten Neonaziszene. Weder der Verfassungsschutz noch ausgewiesene Szenekenner hatten bis dahin derart kaltblütige und gut organisierte Mordanschläge rechter Terroristen in Deutschland für möglich gehalten.

Mehr als 13 Jahre lang haben Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe aus dem Untergrund heraus gemordet, gebombt und mehr als ein Dutzend Banken überfallen. Kurz nach dem Selbstmord ihrer beiden Komplizen zündete Zschäpe das Versteck der Gruppe in Zwickau an und stellte sich wenige Tage später der Polizei. Bald stellten die Ermittler fest: Die blutige Spur der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zieht sich quer durch die ganze Republik.

Acht türkisch- und ein griechisch-stämmiger Kleinunternehmer sowie eine Polizistin wurden laut Anklage von dem Trio erschossen. Doch weder Polizei noch Verfassungsschutz vermuteten hinter den Taten ein rechtsextremes Motiv. Hunderte Beamte ermittelten jahrelang in die falsche Richtung. Die Ermittler hätten selbst dann noch am vermuteten Tatmotiv „organisierte Kriminalität“ festgehalten, als „Spur um Spur in diese Richtung ergebnislos blieb“, kritisierte 2013 der NSU‑Untersuchungsausschuss. „Die wenigen Merkmale, die tatsächlich alle Opfer gemeinsam haben […] konnten sie mit keiner bekannten kriminellen Organisation in Konflikt bringen. Nur eine rassistische Tatmotivation traf tatsächlich auf alle Opfer zu“, lautet das Fazit des Ausschusses.

Im November 2011 hatten die Ermittler in den Trümmern der Zwickauer Wohnung die Tatwaffen entdeckt, außerdem die Pistole der ermordeten Polizistin. Damit war schlagartig klar geworden, dass hinter den zehn Morden die bis dahin völlig unbekannte Terrorgruppe stand. Auf der Flucht aus ihrer Zwickauer Wohnung hatte Zschäpe noch an 15 Adressen ein grausames Bekenner-Video verschickt. Der viertelstündige Film zeigt den menschenverachtenden Hass, der die Täter antrieb. „Taten statt Worte“ fordern die Neonazis darin. Mit einem Mix von Szenen des Zeichentrickfilms „Der rosarote Panther“, selbst aufgenommenen Fotos der blutüberströmten Leichen und zynischen Kommentaren verhöhnten die Terroristen ihre Opfer – und ließen erkennen, dass die Mordserie nach zehn Toten eigentlich noch nicht hatte beendet sein sollen: Neben den Fotos der Ermordeten blieben weitere Bilderrahmen für zukünftige Opfer frei.

Quelle: Johannes Radke
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